Quelle: Leonberger Kreiszeitung, 09.05.2005
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„Bauträgerarchitektur
passt nicht zur Altstadt"

Kunsthistoriker informiert über Bausubstanz in Weil
Großes Interesse am Stadtrundgang mit dem Kunsthistoriker Dr. Heribert Sautter
In Weil der Stadt stehen noch viele kleine hübsche Häuser, die als Baudenkmal nicht von hervorragender Bedeutung sind. Kunst- Historiker Heribert Sautter hat auch den Gesamteindruck der Keplerstadt im Blick, der bedroht sei.                      Foto: Rainer Enke
WEIL DER STADT - Eine Möglichkeit, ein geschloss-enes historisches Stadtbild zu erhalten, ist der Ensembleschutz in einer Gesamtanlage. Darüber infor­ mierte Dr. Martin Hahn vom Referat Denkmalpflege im Regierungspräsidium am Samstagabend. Hierzu fanden sich die Teilnehmer des Stadtrundgangs im Gasthaus Ox & Q ein. Diese historische Stallscheuer wurde vor kurzem saniert. Hahns Vorschlag für eine Weil der Städ­ ter Gesamtanlage bezieht sich in etwa auf die Fläche innerhalb der Stadtmauern. „Geschützt ist das heutige überlieferte Erscheinungsbild, nicht das von vor 100 oder 200 Jahren",
Ensembleschutz ist ein Standortvorteil
Herrenberg die Gesamtan-lagenqualität nach Paragraf 19 des Denkmalschutz-gesetzes. Danach kann die Verwal­tung nach Absprache mit der Denkmalschutz-behörde eine Satzung erlassen. Danach ist jede Veränderung innerhalb der Anlage genehmigungs-pflichtig, Änderungen dürfen nur bei erheblicher Beein-trächtigung des Gesamtbildes ab­ gelehnt werden. Zuständig ist die Untere Denkmal-schutzbehörde. Sie versucht, zwischen dem öffentlichen Interesse am Erhalt und dem der Bauherren zu vermit­teln. „Eine geschützte Gesamtan-lage ist immer ein Standort für die Stadt", so das Fazit von Martin Hahn. Rainer Enke
erläuterte der Experte. Dazu zählen Bauwerke, Straßen, Plätze, Grün- und Freiflächen sowie die Stadt­silhouette. Schützenswert ist nur das Äußere der Gebäude, bei Kulturdenk­ malen auch das Innere. Etwa 120 Kom­munen haben im Land Qualitäten als Gesamtanlage, rund 60 davon sind ge­ schützt, so etwa Weikersheim und Freu­ denberg mit ihren dichten, geschlossenen historischen Ortskernen. Im Kreis Böblin-gen haben neben Weil der Stadt nur Leonberg und

 

WEIL DER STADT - Für den Erhalt der Altstadt machen sich Mitglieder des Bürger-forums stark. Etwa 60 Interessierten erläuterte Kunsthistoriker Dr. Heribert Sautter bei einem Stadt-rundgang am Samstag, wie die Bausubstanz zu bewerten ist.


Von Rainer Enke

Nach Ansicht der Mitglieder des Bürgerforums werden immer mehr Gebäude im einst geschlossenen Stadtbild abgerissen und durch deutlich größere Neubauten ersetzt. Dennoch gebe es etliche kleine und hübsche Häuser, die aber bauhist-orisch nur selten von überregionaler Bedeutung seien. Zwar bezeichne sie die Denkmalpflege als schütz-enswert, tatsächlich seien etwa 80 Prozent aller Häuser nicht so geschützt, dass ein Abriss verhindert werden könne. Daher brauche man dringend ein funktion-ierendes Regelwerk, das die Interessen der Eigentümer, der Einwohner und der „in der Summe einmaligen Bausub-stanz" koordiniert und schützt. Hier könne der Stadtentwicklungsplan neue Akzente setzen, das Thema „Altstadt" ist eines der Leitprojekte. „Das Erschein-ungsbild der Altstadt wirkt durch das Ensemble von kleinräumiger Bebauung in kleinen grünen Parzellen." So beschrieb Sautter die heute noch teilweise gut sichtbare Anlage, die sich seit dem ersten Stadtplan von 1831 kaum geändert habe. Deswegen passen seiner Ansicht nach große Mietshaus-blöcke nicht in den Stadtkern. Die großräumige, hohe und „zu aufgeräumte Bauträgerarchitektur" würde das Stadtbild stören. Da sei alles gerade und
künstlich, im Gegensatz zu alten Häusern, die Ecken und Kanten hätten, aber auch schon mal etwas schief und unregelmäßig seien. „Ein Haus darf in Würde altern", stellte Sautter dazu fest. Wenn die Neu­ bebauung, verbunden mit Abriss alter Substanz unge-bremst weitergehe, ver-schwinden seiner Über-zeugung nach innerhalb von 40 Jahren die ortsprägenden Denkmale.   Immer mehr weichen Gärten und die typischen bäuerlichen En-sembles aus dem Stadtbild. Dies war im Bereich des Judentores deutlich zu er-kennen. Lob von Sautter gab es für kleinräumige Neubebau-ungen, die jedoch nicht historisierend sein dürfe. Problematisch seien die baulichen Gutachten: So sei einem solchen beinahe die Villa Schnaufer zum Opfer gefallen. Ebenfalls „gerettet" wurde die ehemalige Sozial-station, deren Abriss die Stadt zunächst beantragt hatte. Selbst vom Abriss bedrohte typische alte Scheunen könnten einem neuen Verwendungszweck zugeführt werden, etwa als Garagen. Als „städtebaulichen Super-GAU" bezeichnete Heribert Sautter den Viehmarktplatz. „Die Gebäude sind für die Altstadt viel zu hoch", urteilte er. Dass beim Bau eine staufische Stadtmauer abgetragen wurde, mache die Sache noch schlimmer. „Wir dürfen das Vorhandene nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, sonst bleiben später nur noch Straßennamen", lautete Sautters Fazit. Im Anschluss wurden einige mit viel Enthusiasmus sanierte ehemalige „Abrisshäuser" besichtigt, die eine gelungene Mischung aus historischem Anspruch und Wohn-Nutzbarkeit darstellen, so etwa in der Kirchgasse 1.